Mein Wunsch – ein Vater

  • Es ist Samstag. Nachdem der Unterricht wieder regelmäßig lief und die Hausaufgaben nicht zu knapp bemessen waren, verblieb nur noch wenig Zeit für unsere privaten Interessen. Umso mehr freuten wir uns aufeinander. Seit Jahren war die Frage nach neu erworbenen „Schätzen“eine der Ersten mit, und das von Woche zu Woche. Wir leben im Jahr 1946, im November. Voller stolz und Freude erzählte ich Maria von einem neuen Buch, der schönen Haarspange und dem Stoff für das Puppenkleid, wir wollten mit Omas Hilfe nähen lernen. Aber nun du Maria, was war bei dir los? Sie hatte mir zu gehört, dann sagte sie punkto neuen Schatz ihrerseits: „ Und ich einen Vater.“ Ich war zuerst sprachlos. Dem hatte ich natürlich nichts entgegen zu setzen, das war in meinen Augen das Höchste. Mein Vater war im Krieg gefallen, wir bekamen den „bewussten “ Behördenbrief zugestellt, wenn es meine Mutter auch nicht glauben mochte, oder konnte. Es war so!Marias Elternhaus ( Einfamilienhaus ) lag am Rande der östlichen Vorstadt, es war nur zum Teil beschädigt. 2 Zimmer durften bewohnt werden und dazu der kleine Bretterverschlag, wo wir spielen konnten und unsere „Schätze“ aufbewahrten. Opa Rölz, Uralt, wie wir sagten, es gab außerdem noch Opa Rölz, der im 1. Weltkrieg war und eine Beinverletzung hatte, man sah es beim laufen, half uns beim Aufbau unseres Ziegel-Regals. Opa Uralt zauberte sogar 2 Bretter hervor, die wir auf die Ziegel legen konnten, diese gab es ja in Massen, und mussten nur geputzt werden. Großartig! Wir hatten unseren Spaß dabei.Herr Schütz, Marias Vater holte uns zwei zum Kaffee, so wie jeden Samstag, wenn ich zu Besuch sein durfte. So lernte ich ihn und er mich kennen. Dürr, lang und bleich, so habe ich ihn noch in Erinnerung. Es war ein sehr kranker „Heimkehrer“, wie unsere Väter, die im Krieg besiegten, interniert oder in Gefangenschaft irgendwo lebten, nach hause zurück kehrten, genannt wurden, Heimkehrer! Und in welcher „Verfassung“! Die Frauenquote war übererfüllt. Es war so, einfach anpacken und durch, und das mit Humor und einem Lächeln. Eine Gedenkminute für diese Frauen und Mütter, die die Trümmer wegräumten, damit der Weg wieder begehbar wurde, die die Kinder großzogen, eine Suppe und die notwendige Kleidung zauberten und es hinnahmen, ob in geheimer Trauer oder mit Gleichmut, es war eben so. Die nächsten 2 „Spielsamstage “ entfielen. Marias Vater benötigte Ruhe. Es erging ihm gesundheitlich nicht gut. Die dringend benötigten Medikamente fehlten und waren schwer zu beschaffen, wie meine Freundin mir sagte. Ihre Sorge um ihn sah man ihr auch an, im Unterricht wirkte sie zerstreut. Sie saß ja neben mir auf der „Bank“, so sah ich es und konnte helfen. Zum 2. Advent wurden wir beide von Oma Rölz eingeladen. In diesen Jahren galt ein „Kranz im Lichterglanz“ als etwas besonderes, dazu gab es Tee und Gebäck,Sterne, Weihnachtsfiguren, aus Teig ausgestochen. Später erklärte sie mir im ernsten Gespräch, das der Platz vom „Bretterverschlag “ benötigt wurde und er nicht mehr für uns Kinder als Spieltreff zur Verfügung steht. Irgendwie sah ich das schon ein. Maria hatte jetzt einen Vater, er brauchte ja auch Platz. Weihnachtsferien! Herrlich, Schnee in Massen! Frau Sorge klopfte jedoch an die meisten Türen. Väterchen Frost war fleißig, unerbittlich zog es durch die Ritzen der beschädigten Wohnungen und Quartiere. Wie sollte es auch anders sein.Verklebt, zugestopft, verstellt und vernagelt wurden die Stellen, damit es warm wurde. Maria sah ich erst bei Unterrichtsbeginn wieder, Januar 1947. Hatte ich mich auch so verändert? Sie sah so anders aus. Aus ihren blonden zwei Zöpfen war einer geworden, nach hinten geflochten. Ihre Mappe war neu, und Einiges mehr, wie sie berichtete. Die Unterrichtsstunden waren aufgestockt. Unser schulisches Wissen entsprach nicht der geltenden Norm, wie denn auch! Fliegeralarm, Bombenhagel, Ruinen, keine Lehrer usw. also nachholen! Russisch war Pflichtfach. Wir nahmen Englisch dazu und Mathematik, aufgeteilt in Algebra und GeometrieDazu die Hausaufgaben, die meist mit am Samstag erledigt wurden. Unsere „Spiel-Freizeit“ entfiel so automatisch. Durch ihren Vater bekam Maria wieder eine Klavierlehrerin. Wöchentlich zweimal Musikunterricht kam für sie dazu. Gut? Ob oder nicht, es war so! Wir mussten lernen, einfach durch. Im Februar verstarb Opa „Uralt“. Das hat mich sehr berührt. Er war so ein guter Freund, ein Licht würde ich heute sagen, für zwei kleine Mädchen im Bretterverschlag, auf den sie unbedingt stolz waren. Oma Rölz sagte mir bei der Beerdigung unter Anderen: Für Maria ist es nicht ganz so schlimm, sie hat ja jetzt einen Vater. Die Wochen bis zu den Osterferien verliefen im Tempo. Es standen viele Klassenarbeiten an. Algebra war nicht so meine Sache, Maria lernte mit ihren Vater, er konnte es noch aus seiner Schulzeit. Komisch, irgendwie beneidete ich sie, neidisch auf ihren Vater?So gab sie mir Nachhilfe. Unsere Freundschaft hätte sich vertieft, einer könnte sich auf den anderen verlassen, so dachte ich, obwohl wir auf privater Ebene keine Zeit mehr verbringen konnten. Zu den Osterferien fuhr Familie Schütz in Urlaub zu Verwandten. Ihr Vater fühlte sich besser. In dieser Zeit bestellten meine Mutter, mein kleinerer Bruder und ich unseren Garten, umgraben, abharken der Wiese, Beete für die Aussaat vorbereiten, usw. Die Bäume, Blüten, Sonne, Vogelgezwitscher, es gab und gibt viel Schönes das den Menschen zu allen Zeiten erfreut. Nach den Ferien, bei Unterrichtsbeginn, fehlte Maria. Was war los? War sie krank? Ich war in Sorge. Ganz kurz darauf teilte die Klassenlehrerin mit, dass Maria verzogen ist und nicht mehr zurück kommt. Adresse unbekannt. Ich wollte Oma oder Opa Rölz um Auskunft bitten, doch die Wohnung war anderweitig besetzt. Noch vor den Sommer- Ferien wurde für mich ein großer Karton zu Hause abgegeben mit der mir wohl bekannten Aufschrift: „ Schätze“! Wer auch immer, vielleicht Maria, hinterließ mir alle gesammelten und „ speziellen Stücke“ aus diesem besonderen Zeitabschnitt, der für heutige Verhältnisse nicht leicht nachvollziehbar ist. Der Schatz Nr. 1 war Teddy „Maxl“ nur leicht verwundet am Bein, gefunden Ende Mai 1945. Sein Fell wurde gebürstet, das getroffene Bein so mit Holzspan geschient, das er noch sitzen konnte. Frau Schütz schenkte uns etwas schmale Mullbinde und einen dünnen Streifen von der Pflasterrolle, und, perfekt. Er saß! Neben ihn, auf dem Ziegelregal, lag unsere Gisela, die Babypuppe. Ihr Körper war aus einer Art Stoff gefertigt. Der „Balg“ konnte noch gestopft werden und ein Pflaster verdeckte das Loch. Das süße Gesicht hatte nur eine kleine Delle an der Wange, wir Puppenmütter liebten sie heiß und innig. Sie war die Nr. 5 auf unserer Schatzliste, gefunden Mitte Juni. Dazwischen entdeckten wir große und kleinere Murmeln auf unseren Spaziergängen im Trümmerfeld. Aber nur dort, wo die Zerstörung durch Sprengbomben statt gefunden hatte. Klar, Brandbomben oder Phosphor hinterließen andere Narben! Erwähnen möchte ich noch Schatz Nr.8, eine wunderbare bunte größere Glasscheibe mit Figuren und Blüten darauf. Hier half uns Opa „Uralt“ beim Bergen, das war in den großen Ferien im August. Woher sie stammte? Das bleibt unser Geheimnis, das Geheimnis zweier kleiner Mädchen! Es muss Anfang September gewesen sein, hier fehlt das Datum, als wir Zwei den Handspiegel mit dem verzierten filigranen Stiel entdeckten, er war nur wenig beschädigt. Meine Mutter meinte damals, es gehören noch ein Kamm und eine Bürste dazu, es wäre sicher einmal eine Garnitur für einen Frisörtisch gewesen. Natürlich fanden wir Kamm und Bürste nicht. Wir entdeckten schon noch einige andere wundervolle Dinge, die wir damals freudig in unsere „Kiste “ verstauten, heute würde ich sagen: Es waren alles Einmalige der Zeit angepasste „Sammlerstücke“! Doch alle gebe ich sie hier nicht preis, sie sind mir zu kostbar! Ich lege sie zurück, und bewahre diesen „Schatz“ im Garten der Erinnerung.


    Anmerkung: geschrieben von Cora

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