Stroh und Bettsäcke

  • Lernen und Verstehen


    Sommerferien. Erntezeit. Die Mähdrescher schnitten die Getreidehalme ab, nur dort, wo die zugeschütteten Bombentrichter sind, wo das Ganze noch zu steinig und holprig war, dort ist sehr vorsichtig die „Sense“ gefragt, um die Feldfrucht einzubringen. Ruhig und gelassen schreiten die Erntehelfer hinter der Maschine her, formen die Bündel und stellen sie zu „Puppen“ auf. Noch nie habe ich das Sähen und Wachsen des Getreides so beobachtet, oder auch beobachten können wie dieses Jahr, wo ich täglich die 3 km Landstraße zur Schule entlang ging, wo rechts und links Acker war und noch ist. Linker Hand, etwas weiter zum Wald zu, hat der Gutsbesitzer Rüben anbauen lassen. Das war unser erster Spinat. Mein Freund Kurtl und ich krochen die „Furchen“ entlang, und entnahmen je Rübe nur ein Blatt, so hat es Mutter uns gesagt, und nicht von der Mitte der Rübe, das wäre das Herz, da ginge die Frucht ein. Also gab es Spinat, köstlich und gesund, wenn auch vom Besitzer unerwünscht. Ich bin heute überzeugt, dass die „Gutsleute“ nicht wussten was Hunger ist. Später wurde das Land „enteignet“, es fiel unter die „Bodenreform“, das heißt: Es wurde unter die Bauern aufgeteilt und von diesen einzeln bewirtschaftet, später schlossen sie sich wieder zusammen zu einer „LPG“! Nicht einfach zu verstehen, gemeinsam, bekamen wir erklärt, wirtschaftet es sich Kosten günstiger und die Erträge seien höher, also wurden die Fluren wieder geeint. Im Moment zogen wir mit einem Beutel los, Ähren lesen war angesagt. Dort an der Feldrein, oder dort, wo die Maschine wendete, lagen meist einige Ähren mehr. Wenn möglich schnitten wir heimlich auch einige Ähren ab vom Halm, damit der Beutel sich schneller füllte. Diebstahl? „Überlebenstraining “ hört und liest sich besser, wäre sicher auch gerechter. Freilich, wenn es jeder täte! Die Ähren wurden nochmals in die Sonne gelegt. Waren sie trocken, wurden die Körner entnommen und später durch die „Kaffeemühle“ zu Grütze gemahlen.Mutter legte den Wintervorrat an. Die Wildbeeren fielen ebenfalls unter unsere Sammelleidenschaften, ob es uns Kindern gepasst hat oder nicht, mit der alten Blechkanne zogen wir los. Mutter stellte Saft und Marmelade her, über die Grütze, wie sich im Winter heraus stellte, ein Genuss. Dabei wurde auf jedes Stückle Brennmaterial geachtet und mitgenommen. Ernst ging es bei diesen Aktionen nicht zu, im Gegenteil, es wurde gescherzt und gelacht und der Erfolg des Einzelnen begutachtet und gelobt. Zuletzt fuhren wir mit einem breiten „Rechen“ über die Stoppeln um etwas frisches Stroh für die „Bettsäcke“ zu bekommen, der Ertrag viel mager aus. Unsere Mutter konnte zum Glück noch etwas Stroh vom Besitzer dazu kaufen. Klasse 4: Schuljahr: Herbst 1945 – Sommer 1946. Am ersten Unterrichtstag wurde der Stundenplan durchgesprochen. Außer den üblichen Fächern für eine 4. Klasse war eine Unterrichtsstunde, so etwas wie Gegenwartskunde, hinzu gekommen, um ein besseres Verständnis für unseren „Alltag“ zu haben. Kurz: „ Situationsgebunden.“Die großen Themen, Krieg und Frieden, in Freundschaft und Würde mit allen Völkern der Erde zu verkehren, wurden angesprochen und blieben das Lehrmaterial über Jahre hinaus. Uns Schülern wurde bewusst, wir hatten einen Krieg verloren, das hieß aber, unser Land „Deutschland“ hatte ihn begonnen. Warum? Keine Fragen hier und keine Antworten! Das ist die große Geschichte von Schuld und Sühne würde ich heute sagen, von hohen Reparationskosten, dem Nürnberger Prozess, dem geteilten Land in Besatzungszonen. Wir Deutsche haben gelernt, und mussten lernen, ich hoffe nur, es waren Alle dabei, damit nie mehr eine Mutter durch Kriegsgeschehen ihren Sohn beweinen muss. Wir hörten die Berichte und sahen die Bilder von KZs. Erschütternd, verständnislos. Das waren wir, so waren wir? Kaum zu glauben. Nachdenklich ging ich die Landstraße entlang zum „Gartenhäusl“ unserer Behelfswohnung. Jetzt konnte ich verstehen warum damals die beiden „Tiefflieger“ mit ihren Bordkanonen auf uns schossen, als wir im Straßengraben lagen, um uns zu verstecken. Wir waren doch nur Kinder und alte Leute. Ein weiteres Bild drängte sich mir auf. Kurz nach Einmarsch der Alliierten, es war am späten Nachmittag und wir Kinder standen am Lattenzaun, beobachteten wir einen Mann, der mit Tempo vor einem Auto her lief. Es hieß später, er ist bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Er war ein großer „Nazi“ und ein Verräter, war eine abgegebene Erklärung für uns. Warum? Vergeltung und Hass, alles Ungute begegnete uns immer wieder und das auf eine lange Zeit hin. Mutter entdeckte uns am Zaun, und zog uns von dort fort. Irgendwann im Spätsommer bekamen wir unerwarteten Besuch von unserer Tante Li aus dem Sudetengau mit großem Rucksack auf den gebeugten Rücken. Sie war nicht die Einzige die so auszog, es erging fasst allen Deutschen so. Sie war krank, wie Mutter uns sagte, sie blieb einige Zeit bei uns bevor sie weiter nach Bayern zu ihren Schwiegereltern zog. Wir trafen sie in späteren Jahren noch einmal. Tante Li hatte sich verändert, sie hatte einen „Knacks“ weg, wie der Volksmund so sagt. Die Verbindung zu ihr brach leider ab. – Anfang Oktober. Der Wind pfiff über die letzten Stoppelfelder, die Kartoffelernte war im Gange. Für Kurtl und mich hieß das „nachgraben“ zum Aufstocken für den Wintervorrat. Voller stolz präsentierten wir unseren Erfolg, einen kleinen Sack voll Kartoffeln. Na also Freunde, es geht doch, das mit der Mithilfe! Wir waren stolz auf uns selbst. Im fortschreitenden Schuljahr lernten wir Lieder von unserer Heimat, was sie ist, was dazu gehört und sangen von Frieden und Freiheit. Ferner bekamen wir einen Sportlehrer und neu für uns war auch die Möglichkeit einen Schachzirkel beizutreten. Schach wurde von da an zu meinem Hobby. Später trat ich in einen Schachclub ein und trainierte die Kinder und Jugendlichen. Dem Schachspiel gehört noch heute meine „Liebe“. Nur schade, mein Freund Kurt schloss sich dem Sportteam an. So war privat kaum noch Zeit für unsere „Unternehmungen“. Trotzdem hielt unsere Freundschaft über Jahre hinaus. Zum Weihnachtsfest 1945 bekamen meine Schwester und ich das Geschenk, das ich niemals vergessen werde. Tante Scheunert, eine alte Dame, schenkte jeden von uns ein Zweipfund Brot, obenauf eingeritzt je fünfmal fünf „Fünfzig Pfennig“ Stücke. Wir saßen vor dem leckeren frisch gebackenen Brot, der Hunger war groß, dann beschlossen wir Beide es anzuschneiden, aber mit Maßen. Herrlich. Mutter bekam von jedem ein Stück davon. Januar, Februar erkrankte ich an einer schweren Bronchitis, das Atmen war beschwerlich, der Unterrichtsausfall dadurch beachtlich. Meine Mutter versuchte mit mir zu Hause etwas zu üben, es funktionierte nicht so recht, es fehlte mir einfach die Kraft. Ende April bekamen wir vom „Rat der Stadt“ 2 Zimmer zugeteilt in der Nähe unserer Schule, in der östlichen Vorstadt auf dem „Wackerplatz“, Sportplatz des Fußballvereins Ost. Das Vereinsheim, wo sich die Mannschaft umzog, war für Notunterkünfte freigestellt und gerichtet wurden. Mit uns zog noch Frau Hoppe mit 3 Kindern in die weiteren 2 Zimmer. Das war für uns die Wende. Wir waren wieder in der Stadt, die Schule in der Nähe, und es gab Einkaufsmöglichkeiten. Die Ernährung der Bevölkerung war durch Lebensmittelkarten geregelt. Es war für uns Drei insgesamt die Erleichterung pur, wir waren zufrieden. Den Unterhalt für uns verdiente Mutter auf den Bau. Sie räumte die Trümmer mit den vielen anderen Frauen weg, sie schaffte so in Verbindung mit ihnen Ordnung und Platz für den heiß ersehnten und erforderlichen Wiederaufbau, für eine hoffentlich friedliche Zukunft.


    Anmerkung: geschrieben von Bert Berthold

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