Verfluchte Versuchung
Eine Leidenschaft zum Arbeiten
Eine Leidenschaft zum Arbeiten, ein Drang zur Vollendung, der dem Schaffen selbst den Stempel des Genialen aufdrückte.
Inzwischen hatte Nifer Luzi den Bogen angesetzt. Nach den ersten Tönen hatte der Maler sich erstaunt umgedreht und dem Geiger eine Zeitlang zugeschaut. Was jener da spielte, schien ihm eine sehr seltsame Musik. Auch die Geige klang ihm so fremd. Ganz anders als unter seinen eigenen Händen. Der Klang war so merkwürdig menschlich. So als sänge eine außerordentlich begabte Frauenstimme diese wunderlichen Koloraturen. Wie das durcheinander wirbelte und durch die Saiten stürmte, maßlos sinnlich und leidenschaftlich, dann wieder unaussprechlich süß und innig. Doch immer, ob Sturm oder Stille, klang eine unwiderstehliche heiße Liebeslockung durch das Spiel.
Peter Sahm hätte dieser Musik mit geschlossenen Augen stundenlang lauschen mögen. Doch in seinem Arm war eine Erregung, die ihn förmlich zur Leinwand hin zwang. Während hinter ihm unaufhörlich und unermüdlich der Bogen die tönenden Wunder aus den Saiten riss, zauberte seine Hand, als würde er von einer unsichtbaren Macht geführt, in unglaublich kurzer Zeit ein Bild auf die Fläche, wie der Künstler es in seinen schönsten Träumen nicht erwartet hätte. Kühn in der Auffassung, lebendig in allen Linien und doch voll eines schönen Rhythmus. So stand die Skizze vor den Augen des Künstlers. Mit einem tiefen Aufatmen trat er endgültig zurück und in demselben Augenblick endete hinter ihm das Spiel mit einem fast schreienden Akkord. Wie lange das alles gedauert hatte, vermochte er nicht zu sagen . Er fühlte sich aus Raum und Zeit hinausgeschoben und zu einem Schaffen bestimmt, das in seinem Zweck und in seinen Erfolgen hoch über die Bedeutung der Täglichkeit hinausragte. Nifer Luzi legte still die Geige weg und trat an die Seite des Malers.
„Da hätten wir ja die Skizze“ sprach er mit einem leisen Lächeln. „Ich denke, sie ist trefflich gelungen.“
Peter Sahm blickte seinen Sekretär mit einem verlorenen Lächeln an.
„Ach ja, Sie sind ja auch hier. Ich glaube, ich wusste im Augenblick gar nicht, wo ich war. Sagen Sie, wer hat Ihnen das Geigenspielen gelehrt?“
„Hat Ihnen denn mein Spiel nicht gefallen?“
„Gefallen, als ob bei solcher Musik von Gefallen die Rede sein könnte! Das ist außerhalb alles Irdischen. Wenn Sie mit solcher Musik an die Öffentlichkeit treten würden, könnte ich mir nicht vorstellen, was Sie damit anrichten würden.“
Nifer Luzi lächelte und nickte.
Eine seltsame Magie
Auf seinem Gesicht lag ein tiefes Rot freudiger Erregung, denn soweit ihn seine Kunstwanderungen durch die Welt geführt hatten: etwas so Lebendiges, etwas in jedem Zug und jeder Bewegung Vollendetes wie diese Tänzerin auf seinem Bild, hatte er nie gesehen. Lange blickte er auf sein Werk. Es schien ihm selbst unfassbar, jenes Kunstwerk geschaffen zu haben.
„Ist das nicht, als wenn es ein Stück Leben wäre?“ wandte er sich endlich an seinen Sekretär. Der stand schweigend, mit über der Brust gekreuzten Armen abseits stand und betrachtete ebenfalls das Bild.
„Ja, aber Sie können den Anschein des Lebendigen noch um einen guten Teil verstärken. Wir wollen doch sehen…!“
Er trat wieder zur Palette und mischte aus mehreren Farben ein kleines Kügelchen.
„Nun versuchen Sie mal, die Lichter in den Augen durch diese Farben zu erstärken.“
Der Maler folgte dem Rat und trat verblüfft von der Staffelei zurück.
„Hölle“, murmelte er und warf einen scheuen Seitenblick auf seinen Sekretär. „Die Augen, nein! Das ganze Gesicht! Es lebt und bewegt sich!“
„Das ist eine höchst auffallende Täuschung. Die Farbe, die Sie eben aufgetragen haben, ist in ihrer Mischung mein Geheimnis. Sie funkelt gewissermaßen nach allen Richtungen hin. Dadurch folgt Ihnen der Blick bei jeder Ihrer Bewegungen. Je schneller Sie Ihren Standort wechseln, um so beweglicher wird Gesicht und Auge. Machen Sie den Versuch und gehen Sie vor dem Bild auf und ab.“
Peter Sahm tat es und wirklich, die Augen der Tänzerin folgten ihm bei jeden seiner Schritte. Durch dieses eigenartige Nichtloslassen des Betrachters bekam das Gesicht, das schon an sich voll starken sinnlichen Reizes war, einen ungemein verlockenden und bestechenden Charakter. Unmöglich konnte jemand achtlos an dem Bild vorübergehen, ohne stehen zu bleiben und den geheimnisvollen Zauber dieser Augen auf sich wirken zu lassen. Peter Sahm saß wieder auf seinem Stuhl. Sein Blick hing unverwandt auf dem Gesicht auf der Leinwand, dessen Augen ihn nicht losließen und ihm insgeheim zuzwinkern schienen. Die Lippen waren zu einem leichten Lächeln geschwungen. Dieser lächelnde Mund lebte.
Tiefer war die Dämmerung geworden. Dünne graue Schleier lagen schon über dem Gemälde. Doch das Gesicht lebte. Hell glänzten die Lichter in den Augen durch die Dämmerung.
„Ich skizzierte dieses Gesicht einst in einer neopoltitanischen Schenke“, murmelte der Maler vor sich hin. „Es hat mich gefesselt durch die Lebhaftigkeit jenes Ausdrucks. Sie war sehr lieb, die Kleine. Merkwürdig, wie sie mich hier so anschaut, bekomme ich richtig Sehnsucht nach ihr.“
Paris in Aufruhr
Schon die nächsten Tage bewiesen, dass Nifer Luzi mit dieser Voraussage recht hatte. Die Kunde von dem unerhörten Gemälde in der Ausstellung Descamps hatte sich unter den an Kunst interessierten Kreisen von Paris wie ein Lauffeuer verbreitet. Es begann eine wahre Wallfahrt zu dem ausgestellten Bild der indischen Fürstin. Vom Morgen bis tief in die Nacht drängte sich eine aufgeregte Menschenmenge vor Sahms Gemälde. Laute Worte der Bewunderung und der scharfen Ablehnung wurden hörbar. Jeden Augenblick kam es unter den Beschauern des Bildes zu erregten Auftritten. Es kam so weit, dass die Behörden das Bild unter „Polizeischutz“ stellen mussten. Doch die Anwesenheit der Polizisten verhinderte nicht, dass sich die Gemüter der Menschen vor dem Bild derart erhitzten, dass es zu Prügeleien kam. Es gab Meinungen, dass kein Mensch, sondern das Böse selbst dieses Werk vollbracht hat. Andere widersprachen. So war fortwährend genügend Zündstoff für die erbittertsten Meinungskämpfe vorhanden. Den Höhepunkt des Ganzen aber bildete das persönliche Erscheinen des Malers im Ausstellungsraum. Nifer Luzi hatte den beiden Herren so erstaunliche Dinge über das Leben und Treiben vor dem Gemälde der Fürstin Kalerani erzählt, dass der Lord darauf bestand, sofort zu dieser Ausstellung zu gehen. Peter Sahm lehnte es anfänglich ab mitzugehen. Den Überredungskünsten seines Sekretärs stimmte er nachgebend zu, beide zu begleiten.
Wieder befand sich eine geballte Menschenmenge vor dem Bild. Doch diesmal befanden sich Schüler eines Priesterseminars unter der Führung eines älteren Geistlichen darunter. Sowohl der Lehrer als auch seine Schüler verharrten lange schweigend, im Anblick des Kunstwerkes versunken. Um sie herum wurde teils in lebhafter, teils in hitziger Weise über das Bild gestritten. Schließlich wendete sich einer der Kampfhähne an den Priester und forderte dessen Urteil. Ernst blickte der Geistliche dem Mann in die Augen. Plötzlich wurde alles still. Fast überlaut war seine Stimme zu hören: „Dieser Maler ist vom Teufel besessen. Die Frau, die er gemalt hat, ist, insofern sie lebt und nicht des Produkt seiner sündigen Phantasie ist, ebenfalls nicht von dieser Welt.“
Stille. Fast konnte man sie spüren. Doch dann brach das Chaos seine Bahn. Wie Wogen, aus dem Meer des Unheils, brandete die Schreie gegen ihn. Doch er stand wie ein Fels in der Menge. Er war es, der dem Ganzen Einhalt gebot. Keine Geste, kein Wort war es, der die Leute zur Vernunft brachte. Es war sein Blick. Er starrte gebannt in eine Richtung. Er endete dort, wo Sahm mit dem Lord und Nifer Luzi abseits der Gruppe stand, die mit einem verzerrtem Lächeln auf das wirre Schauspiel blickten. Mit einem Mal erhob der Priester anklagend seinem Arm gegen den Maler. Seine Stimme tönte laut und durchdringend, als er rief:
„Eine innere Stimme sagt mir, dass jener Mann dort dieses höllische Werk geschaffen hat! Ich sehe den Fluch über seinen Kopf schweben und ich sehe den Urbösen, den ewigen Feind des Menschen an seiner Seite.“
„Schlagt ihn tot!“ unterbrach eine schrille Stimme die Worte des Priesters. Einige Unbesonnene stürzten sich auf Sahm, der aber durch den Lord und Nifer Luzi abgeschirmt wurde. Andere drangen aber heftig auf den Priester ein, der wiederum von seinen Jüngern beschützt wurde. Das Chaos beherrschte die Szene. Schreie, Blut floss, Fäuste bohrten sich wie Hämmer in die Körper von Frauen und Männer. Wo war der Freund? Wo war der Feind? Es war die Polizei, die die irdische Ordnung wiederherstellte. Nifer Luzi zog seinen Herrn geschickt aus dem Gewirr von Menschenleibern hervor…
1 Kommentar
Schreibe einen Kommentar
Sie müssen eingeloggt sein um Kommentare zu posten.
Fluch der Versuchung – ein menschliches Spiegelbild
Sie werden Bilder malen, die die Menschheit noch nicht gesehen hat und sie im Atem hält, sie werden mit den Spitzen der großen Welt, der Kunst und des Adels verkehren: Diese Verlockung pur, diese Versuchung, zuerst nur in Worten ausgesprochen, ließ Stan Marlow den Fürst dieser Welt, in Gestalt eines “ Niver Luzi “ sagen.
Es ist der Mensch mit seinen Wünschen, Hoffnungen, Erwartungen und Sehnsüchten den der Autor in der Person des Malers
“ Peter Sahm“ beschreibt, und das nicht belehrend sondern einfühlsam zeichnet. Er bleibt nich an der Oberfläche sonder geht in die Tiefe, in das Leidenschaftliche, mitunter auch Dunkle der menschlichen Seele.
Enttäuscht und verbittert über sich selbst, mit dem Gefühl ein Versager zu sein, sitzt Peter Sahm um Mitternacht bei dem magischen Licht des Vollmondes auf dem Rand der “ Fontana di Trevi “ voller Selbstzweifel. Malen, Bilder wollte ermalen den
“ Großen “ der Welt gleich. Er glaubte fest, in der “ Ewigen Stadt „, in Rom, würde sich der künstlerische Erfolg einstellen, umsonst. Düster und mutlos fragte er sich, tauche ich doch nur zum Anstreicher?
Und dann, dann stand er da, der Dämon, der große Verführer, in devoter Gestalt, lächelnd, einschmeichelnd, beschwichtigend mit den Worten: Sie werden malen…..P. Sahm zögerte zu erst, das ist verständlich, mit dem ersten Erschrecken wurden auch die Bedenken verdrängt. Der Maler schlug in den Pakt mit Niver Luzi ein trotz besseren Wissens. Ihm graute vor den Folgen, aber das Verlangen in ihm war stärker.
Die dunkle Seite erfüllte prompt den Vertrag und bestimmte augenblicklich sein Leben, er malte Bilder, unnachahmlich! Aber er verlor seine innere Freiheit. Wollte er flüchten, aussteigen aus dem Vertrag, verlor er sofort seine Fähigkeit zum Malen, Unruhe überfiel ihn, er fühlte sich kraftlos und versagte.
Stan lässt uns in seinem Werk die ruhelosen, tiefen Freuden in P. Sams Seele, die heißen Begierden die ihn vorwärts treiben zum Leben, Malen und Lieben spüren.
Zeitlos ist sein Werk. Es passt in die Vergangenheit wie in die Gegenwart. Ich glaube, wenn die Zukunft einst Gegenwart und Vergangenheit sein wird, ist es genau noch so aktuell wie heute. Ich las Stan Marlows Werk vor zehn Jahren das erste Mal.
Die Göttinnen dieser Welt, die da sind: Die der Liebe, der Kunst, der Wissenschaft, der Zufriedenheit, der Wahrheit, der Macht und der zerbrochenen Tugend regieren noch immer. Für welche der Herrscherinnen mit ihren Gaben würden wir Leser uns wohl entscheiden? P. Sahm nahm die Göttin der Macht.
Das ganze Werk ist voller Metapher und geschrieben in einer niveau vollen Sprache. Es braucht seine Zeit, das Gesagte zu verstehen. Der nicht vorausschaubare Schluss ist gleich einem befreiten “ Ausatmen „. Er zeigt P. Sahm mit einer gesundeten Seele ud einer Frau, seiner Mutter. –
Stan Marlows eigene Worte zum Schluss: Es war nichts anderes als ein Kampf zwischen zwei Prinzipien. Die Welt der Finsternis kämpft gegen das Reich des Lichtes um die Menschen. –
Unser eigenes Verhalten ist in diesem Kampf das Zünglein an der Waage, ob wir uns eine Hölle erschaffen oder mit Hilfe des Licht`s in Frieden leben können.