Die Sonne brannte unbarmherzig. Das Land war kahl, verdorrt. Nur hier und dort wuchsen ein paar Halme. Die Bäume spendeten etwas Schatten. Wenn seine Füße sich in den Sand stemmten, staubte die Erde unter dieser Gewalt auf. Seine Haut war dick, grau und das Alter hatte viele Furchen, das Schicksal viele Narben hineingerissen. Er zählte zu den ganz Großen. Wenn die Sonne über der Savanne aufging, hob er zum Gruß seinen Rüssel und trompetete die Freude hinaus. Ein Gruß an die Sonne und an das Leben. Alle Tiere im Tal hörten ihn und wussten, er passte auf. Viele Vollmonde war das schon her. Der Rüssel zog gerade lustlos das wenige Wasser, das in einem Wasserloch war, in seinem Körper. Seine Kraft verlor sich, seine Stoßzähne wurden stumpf. Er war alt geworden.
Er war schon sehr lange allein unterwegs. Den Weg kannte er nicht. Er suchte einen ganz bestimmten Ort. Es zog ihn förmlich dorthin. Eine innere Stimme schien ihn zu führen. Er vertraute ihr. Bruno hatte seine Herde schon lange verlassen. Während er weiter trottet, fächelten ihn seine großen Ohren kühle Luft zu. Die Hitze der Sonne wurde erträglich. Den Kopf geneigt, der Rüssel baumelte lustlos über den Boden. So ging er gedankenverloren, im Vertrauen darauf, dass die innere Stimme ihm den Weg zeigte, weiter. Er war müde. Im letzten Schein der Wüstensonne, die das Firmament tiefrot einfärbte, sah er ein Wasserloch. Er beschloss dort die Nacht zu verbringen und hoffte, dass noch andere Tiere ihm Gesellschaft leisten würden. Den Rüssel in Richtung Wasser haltend, schnüffelte er die Frische. Seine Füße, die ihm vor kurzem noch so schwer erschienen, fingen an zu rennen. Seine Augen leuchteten. Alles ihn ihm schien auf einmal so leicht. Schnell vergingen die letzten Strahlen der Sonne. Die Nacht kannte keine Gnade. Aber er kam gerade noch rechtzeitig um zu sehen, dass niemand da war. Seine Augen versuchten die Schwärze der Nacht zu durchdringen. Kannte er diesen Ort? Er war schon über 80 Jahre auf dieser Welt, doch diesen Ort… nein, den kannte ihn nicht.
Mit einem leisen Trompetenlaut ließ er sich am Wasserloch nieder. Sein Rüssel zog das kostbare Nass ein. Es wurde langsam kalt und still in der Savanne. Bruno wusste, dass die Gefahr in der Stille lag. Die Jäger der Dunkelheit waren unterwegs. Traurig dachte er an seine Herde, an seine hübschen Elefantenfrauen, an die anderen Lieben und hoffte, dass der neue Bulle auf sie alle aufpasste. So ganz in Gedanken versunken sah er in das Wasser. In ihm spiegelten sich die Sterne wider. Oh ja, er kannte den Nachthimmel der Savanne und das leuchten der Sterne. Oft hatte er als Elefantenjunges wie verzaubert dort hingesehen und nervte seine Mutter mit vielen Fragen. Unter anderem auch nach dem Weg dorthin. Eines Tages sagte sie ihm, dass er den Weg ganz allein dorthin finden würde. Das war, bevor sie verschwand. Er merkte, dass sein Herz schwer und er traurig wurde. Plötzlich merkte er, dass jemand neben ihm saß. Er erschrak mächtig. So etwas war ihm noch nie passiert. War er in Gefahr? Seine Augen blickten vorsichtig zur Seite. Neben ihm saß ein Mensch. Ein Mensch? Nein, das konnte nicht sein. Viele Geschichten von Geistern und fremden Wesen, die sich die Einwohner an den Lagerfeuern dieser Savanne erzählten, durchzogen in rasender Geschwindigkeit seinen Kopf. Ganz still saß er da. Mit einem Mal fing er an zu reden. Er sprach zu ihm und er konnte alles verstehen. Er nahm allen Mut zusammen und schaute ihn direkt an. Er sah aus wie ein Mensch, doch seine Haut schimmerte silbern. Er konnte seine Augen sehen. Durch sie strahlte Frieden und Zuversicht. Seine Angst schwand. Sie unterhielten sich über die Savanne und deren Bewohner, über die Freude am Leben und über sein Leben. Noch einmal zog sein Elefantenleben an ihm vorüber. Er spüre die Freude der Mutter, als er geboren wurde, spürte deren Sorgen, als er seine Streiche spielte, sah vor seinem inneren Auge das Glück, als ihm ein eigenes Baby geschenkt wurde, sah seine Gefährtin an seiner Seite und er genoss das gute erfüllende Gefühl, dass er jeden Tag als Herdenführer erleben durfte. Als er zwischendurch in das Wasser blickte, fiel ihm auf, dass ein Stern besonders hell strahlte. Er war ihm noch nie aufgefallen. Lange betrachtete er das Juwel des Himmels, sann darüber nach und schließlich fragte er den Fremden, ob er diesen Stern kennen würde. „Es ist der Abendstern. Ich bat ihn, heute besonders hell und schön zu leuchten“, sagte dieser.
„Warum“, fragte er erstaunt. „Erinnerst Du Dich, als Du deine Mutter nach den Weg zu den Sternen fragtest und wie ihre Antwort war?“ „Wie könnte ich ihre Antwort vergessen, auch wenn ich sie nicht verstand“, sagte er. Eine Weile sah er mich schweigend an. Dann sagte der Fremde: „Du bist angekommen an dem Ort, den du solange suchtest. Gib mir Deine Hand und lass uns zu dem Abendstern gehen. Er wartet auf uns.“ Bruno sah seine ausgetreckte Hand. Sie war schmal, die Finger lang und feingliedrig. Erstaunt sah er sich um. Seine Augen suchten etwas das Misstrauen hieß und seine Sinne suchten nach der Kälte des Betruges. Nichts anderes als Wärme, Geborgenheit, Zuversicht und Frieden konnte er wahrnehmen. Bruno hob den Rüssel. Er trompete laut in die Nacht, ein letzter Gruß an die Savanne und das Leben. Dann nahm er die Hand des Fremden, der nun keiner mehr war. Ein kurzer Ruck ging durch seinen Körper. Er wartete auf die gewohnte Schwere. Nur Leichtigkeit war zu spüren. Gemeinsam gingen beide um die Wasserstelle. Bruno sah zurück und sah schemenhaft sich zusammengesunken ein paar Meter weiter sitzen. Der Fremde bemerkte das Zögern. Seine Stimme war sanft als er sagte: „komm lass uns gehen“. Dann gingen beide in den Nachthimmel, ließen den Elefantenfriedhof, die Savanne mit all ihren Bewohner hinter sich zurück und folgten den silbrigen Strahlen des Abendsterns, die ihnen den Weg wiesen. Ein Engel, dachte Bruno noch bei sich…
VS.
Die Sonne brannte unbarmherzig. Das Land war kahl, verdorrt. Nur hier und dort wuchsen ein paar Halme. Die Bäume spendeten etwas Schatten. Wenn seine Füße sich in den Sand stemmten, staubte die Erde unter dieser Gewalt auf. Seine Haut war dick und grau. Das Alter hatte ihm viele Furchen, das Schicksal viele Narben hineingerissen. Er zählte zu den ganz Großen. Wenn die Sonne über der Savanne aufging, hob er zum Gruß seinen Rüssel und trompetete die Freude hinaus. Ein Gruß an die Sonne und an das Leben. Alle Tiere im Tal hörten ihn und wussten, er passte auf. Viele Vollmonde war das schon her. Seine Kraft verlor sich, seine Stoßzähne wurden stumpf. Er war alt geworden. Er war seit Tagen auf der Flucht vor den Jägern. Als er das Wasserloch erreichte, blieb er stehen und schlürfte vorsichtig, von dem wenigen brackigen Wasser. Dann ließ er seinen, von der langen Flucht erhitzten riesigen Leib in den kühlen Schlamm gleiten. Er stöhnte vor Erleichterung. Als er sein Schlammbad beendet hatte, wühlte er sich aus dem Tümpel und die tief am Himmel stehende rote Sonne trocknete die braune Schlammkruste auf seinem Körper. Wie er so dastand, sah es aus als hätte sich ein Sandberg mitten in der Savanne gebildet. Er hörte aus der Entfernung die Geräusche der Jäger, die den Tod bedeuteten. Doch er konnte nicht mehr fliehen. Sein erschöpfter Leib riet ihm, sich nieder zulegen und es geschehen zu lassen, aber sein Stolz befahl ihm zu kämpfen, so wie er es immer getan hatte. Die Geräusche verwandelten sich in eine schnell näher kommende Staubwolke. Er hob den gewaltigen Kopf und aus seinem hoch aufgerichteten Rüssel dröhnte ein letztes Mal der Kampfschrei der Elefanten. Die Savanne duckte sich ängstlich. Jetzt konnte er die Verfolger sehen und er stampfte ihnen entgegen. Er hörte das peitschenartige Knallen der schweren Büchsen der Jäger und feurige Blitze bohrten sich tief in seinen weiter vorwärts stürmenden Körper. Es waren nur noch wenige Meter bis zu dem ersten Jeep. Die Männer versuchten dem heranjagenden Giganten auszuweichen. Sie waren ohne jede Chance, denn auf dem sandigen Untergrund drehten die Räder des Jeeps durch. Der Zusammenprall brach ihm die Vorderbeine und die graue Masse seines vor Wut und Schmerz schreienden Körpers begrub den Wagen unter sich. Die rote Sonne wendete sich ab und verschwand hinter dem Horizont. Der Tod des Königs der Savanne ließ für einen kurzen Moment die Natur schweigen. Die Jäger, die im zweiten Wagen herangestürmt waren, schossen mit ihren großkaliberigen Waffen in den toten Körper von Bruno. Doch sie konnten ihm nichts mehr anhaben. Die Männer lachten und scherzten, als sie seine Stoßzähne absägten. Sie versuchten ihre, unter ihm begrabenen Gefährten herauszuziehen. Aber Bruno ließ sie nicht los. Sie waren seine Beute.
Antwort zu den Geschichten von “ Bruno“.
Beide Versionen zeichnen gekonnt und feinfühlig ihr Leben nach, so dass man ohne Weiteres diese Geschehen auch auf andere Lebensformen übertragen könnte und kann. Es ist einfach Ihre Handschrift, lieber Stan Marlow.
Beide Versionen sind realistisch und nachvollziehbar. Interessant fand ich im Gästebuch die Meinung von “ Abendstern“ zu der 2. Version. Ich muss Bruno hier einfach verteidigen. Er wusste was die Wilderer mit ihm vor hatten. Alt und geschwächt wie er war, sahen sie hier in ihm eine leichte Beute für ihre Gier nach Elfenbein, nach seinen Stoßzähnen. Brunos ganze Verachtung ob dieser Anmaßung, seine Wut, sein Stolz, ließen ihn noch einmal antreten zu diesem ausweglosen Kampf mit seinen menschlichen Peinigern. Er verlor und begrub unter sich einige Weggefährten der Elfenbeinräuber.
Geschändet, ohne seine Stoßzähne, aber sicher als ein Held, ist er auch dort an jenem Ort, wo sein Mitbruder, der große „Graue“ auf ihn wartete.
Aus eigner Erfahrung: Im März 1985 durfte ich mit Freunden im “ Amboseli-Nationalpark“ Kenia, Afrika, unter Anderem, Elefanten Herden in der Savanne, ihr familiäres, soziales Verhalten, kennen lernen und bestaunen. Am Abend, nach der Safari, lauschten wir den Geschichten von den einmaligen imposanten grauen Dickhäutern. In den meisten Ländern gelten sie als Glücksbringer, in Sri Lanka als heilige Tiere. Ich selbst liebe sie einfach.
Letzte Morgen-Safari. Unser Betreuer schaute uns lächelnd an und erinnerte uns zum wiederholten Mal: Haben sie ihre Ferngläser mit? Nach gewohnter Fahrt in die Savanne blieb unser Wagen plözlich stehen. Ringsum war keine Tierbewegung zu erkennen, oder doch? Die Kamera nachgestellt und…so etwas wie eine kleine bewachsene Insel tauchte vor der Linse auf, umgeben von Gewächsen, Höhe ungefähr gleich unserem Schilf, teils gebleicht von der Sonne, teils noch von grüner Farbe. Inmitten beim genauen Hinsehen entdeckten wir zuerst eine kleine dunkle Erhebung die zu einem Hügel wurde. Langsam und faszinierend, sicher auch mühevoll, schälte sich aus dem Dunklen ein Grau heraus und wurde zu einem imposanten, wenn auch sehr alten Elefantenbullen. Wir würden heute sagen: Aufstehen in Zeitlupe! Er blieb einfach stehen, so eine kleine Weile, als würde er überlegen, gehe ich in die Savanne oder nicht, werde ich meinen Weg noch schaffen?
Seine Zeit der Herdenführung war längst vorüber. Ein junger, starker Bulle hatte seine Stelle übernommen. Er selbst lebt allein hier an dem größeren bewachsenen Wasserloch bis zum Ende seiner Zeit.
Ich habe den Alten, Würdigen, den großen Grauen, all die Jahre nicht vergessen können, ergreifend, wie er so gelassen da stand, diese Abgeklärtheit von der sicher einstigen einmal gewesenen Naturgewalt, die er war.