Was ich herausgefunden habe, ist, dass das Militär und der Weihnachtsmann sich gut vertragen. Es klingt wie ein Märchen, ist aber keines – lasst mich erzählen …
Es war einmal eine militärische Einheit im tiefsten Bayern. Der Ort, in der sie stationiert ist, heißt Fürstenfeldbruck. In ihr werden Soldaten, die sich für eine Ausbildung zum Offizier entschieden haben, in einer anspruchsvollen Zeit dazu ausgebildet.
Diese Einheit ist in verschiedene Inspektionen aufgeteilt. Von der 9. Inspektion der Offiziersschule der Luftwaffe will ich Euch berichten.
Bevor ich die Bekanntschaft mit der 9. Inspektion machte, ging sie eine ‚Liaison‘ mit einem Kinderheim ein, in dem Vollwaisen und Kinder leben, die von ihren Eltern getrennt wurden. Es war eine herzliche, warme und liebevolle Partnerschaft.
In der letzten Novemberwoche, kurz vor Nikolaus, organisierten die Soldaten der 9. Inspektion einen Weihnachtsmarkt, auf dem viele Buden standen. Es gab Leckereien aller Art, eine Tombola, ein Glücksrad, Punsch für die Kinder und Erwachsenen etc. Die Kinder backten gemeinsam mit den Erzieherinnen Waffeln und belegten sie mit süßen Früchten.
War so eine Waffel mit Früchten und Schlagsahne fertig, sah man die Kinder zwischen den Soldaten hin und her flitzen. Mit einem unschuldigen Lächeln und leuchtenden Augen verkauften sie uns diese Kalorienbomben für 1 Euro. Ich bezahlte gern diesen Obolus. Jeder Cent kam diesem Kinderheim zugute. Wenn mein Bauch reden könnte, würde er gesagt haben: „Ich will keine Waffeln mehr – stopp – nein, nicht mehr – gleich platze ich!“ Da ich wusste, dass ich dem Zauber ihres Charmes erliegen und ich immer wieder eine Waffel nehmen würde, hatte ich kleine ‚Magentröster‘ dabei, die den Magen streichelten und besänftigten.
Ein Gottesdienst wurde auf einem abseits gelegenen Platz, zu dem man mit brennenden Fackeln gehen musste, abgehalten. Im Schein des lebendigen Feuers erzählte der Pfarrer von dem Fest, das vor uns lag: vom Nikolaus, von der Geburt Jesu und von der allgegenwärtigen Liebe Gottes. Ab und zu verirrten sich ein paar Schneeflocken. Ein seltsames, freudiges Gefühl stellte sich ein. Kurz, nachdem alle Kinder zurück auf dem Weihnachtsmarkt waren, machte ein immer lauter werdendes Brummen sie aufmerksam. Sie kamen alle herbei und warteten neugierig auf das, was da noch passieren könnte. Ein großer olivfarbener Lkw der Bundeswehr kam die Straße herauf. Durch eine Luke im Führerhaus kann man sich so hinstellen, dass man oben aus dem Führerhaus herausschauen kann. Da kam er, der Lkw. Erst waren zwei kleine Lichtpunkte. Die Kinder waren noch ruhig. Dann rief ein kleiner Kerl „Da!“, sein dünner Arm zeigte nach vorn und seine Augen fingen an zu leuchten. Der Weihnachtsmann schaute oben aus der Luke und winkte. Seinen weißen Bart konnte man leuchten sehen und seine Zipfelmütze flatterte lustig im Fahrtwind. Ein freundliches „Ho ho ho…“ erschallte und die Kinder liefen auf den LKW zu, um den Weihnachtsmann zu begrüßen. Es war eine Freude zu sehen, wie Geschenke verteilt wurden, wie die Kinder sich freuten, den Weihnachtsmann umarmten und über seinen dicken Bauch streichelten, der im Übrigen echt war! Alles war so leicht, so voller Freude und friedlich.
Viele Gäste waren inzwischen eingetroffen. Auf dem Grill brutzelten die Bratwürste und der Glühwein köchelte im Topf. Aus den Lautsprechern krächzten Weihnachtsmelodien. Die kalte Luft machte mich hungrig. Mit einer Bratwurst auf der Semmel ging ich zu meinem Stand. Für diesen kleinen Weihnachtsmarkt hatte ich einen besonderen Trank gebraut: Es war der Erkenntnistrank nach dem Rezept von Dr. Mabuse. Nach dem zweiten heißen Becher bahnte sich die Erkenntnis mit aller Macht: „ This is my way…“, murmelte ein Gast. Seine Augen hatten einen besonderen Glanz. DannGlühwein, Dr. Mabuse, war er auch schon auf dem Weg nach Hause. Die Regale meiner Tombola waren gefüllt mit tollen Preisen. Ganz Unten stand eine große violette Tasche – allerneuste Mode und total chic; sie wartete auf die Gewinnerin. Sie mag acht Jahre alt gewesen sein, oder etwas älter, ich weiß es nicht mehr. Sie schlich immer um mich herum, verwickelte mich in allerlei Gespräche und sagte u. a., dass ich so tolle Preise hätte und wollte wissen, welches Los. sie brauchen würde, um diese schicke Tasche zu bekommen. Ich erklärte ihr, was ich hier mache, was die Soldatentumorhilfe ist, dass durch meine Arbeit auch Kindern geholfen wird – eben kindgerecht. Zwischendurch verschwand sie immer wieder, da ich ja auch jede Menge zu tun hatte. Aber immer wieder sah ich ihre Weihnachtszipfelmütze an meinem Preisregal stehen und eben diese Tasche bewundern, anfassen und streicheln. Bald sammelten die Erzieherinnen die Kinder ein. Noch einmal kam sie zu mir und sagte, dass sie diese „total todschicke“ Tasche gerne hätte. Dann sagte sie (und ich kann diese Worte fast wörtlich wiedergeben): „Leider kann ich mir die Tasche nicht leisten und ich habe nur einen Euro. Aber den will ich Dir geben und du gibst ihn dann den kranken Kindern, versprochen?“ In mir klumpte sich gerade etwas zusammen. Dann griff sie in ihre aus dicker Wolle gestrickte Jackentasche. In meine offene Hand legte sie ihre geschlossene Hand und als sie sie wegzog, lag der eine Euro in der meinen. Dann rannte sie lachend zu den anderen. Was steckte nur für eine Seele in diesem kleinen Körper? Es gibt so Situationen, in denen ich sprachlos bin. Mein Hirn arbeitet auf einer anderen Frequenz. Es dauerte wohl einige Zeit, bis ich das alles, was eben passierte, ich realisiert hatte.
Ich nahm die violette Designertasche, steckte noch ein paar Süßigkeiten hinein – und Bruno ebenfalls. Bruno war mein Glücksbär. Er hatte mich bisher auf jeden Event begleitet. Dann suchte ich die Kinder und die Erzieherinnen. Sie saßen im Bus und waren schon aufgebrochen. Ein Glück, dass es ein Bus der Bundeswehr war. Ich schnappte mir schnell mein Funkgerät und funkte los. Egal, Funkdisziplin hin oder her. Ich durchbrach jeden anderen Funkverkehr und rief den Bus. Endlich, durch ein ätherisches Knistern, kaum verständlich, bekam ich Antwort. Ich bat um einen sofortigen Stopp, da jemand vergessen worden war und mitwollte. Ich hörte, wie die Kinder durchgezählt wurden – niemand fehlte. Ich sagte, dass ich unterwegs sei. Mein Stand wurde durch OFw Groß betreut, der Inspektionschef hatte alles mit angehört, stellte mir seinen Jeep mit Fahrer zur Verfügung und auf ging‘s durch die kalte Nacht. Wie lange wir fuhren? Ich weiß es nicht. Es war schon ein kleines Wunder, dass die Funkstrecke überhaupt stand. Bald sahen wir schemenhaft den Bus. Die roten runden Rückleuchten strahlten durch das Dunkel. Als ich in den Bus einstieg, durch die Dunkelheit sah man die Tasche nicht, sahen mich viele Augen erwartungsvoll an. Ganz hinten auf der Rückbank saß sie. Als sie mich erkannte, wurden ihre Augen groß. Als ich ihr die Tasche überreichte und sagte, dass da der letzte Besucher drin warte, um in die Arme genommen zu werden, griff sie hinein und holte Bruno heraus. Selten habe ich in solch glückliche Kinderaugen blicken dürfen! Ihre kleinen zarten Arme umarmten und drückten mich. Dann holte mich das Zischen der Bustür in die Wirklichkeit zurück. Ich ging hinaus und der Bus fuhr in die Nacht. Lange schaute ich noch hinterher. Ich meinte, sie am Fenster noch winken zu sehen, mit Bruno.
Es gab noch viele gute Gespräche auf dem Weihnachtsmarkt der 9. Inspektion der Offiziersschule der Luftwaffe. Der Platz war voller Gäste. Es wurde gelost, getrunken; mein Espresso war der beste, viele Fotos wurden gemacht und ich konnte viel von der Arbeit der Soldatentumorhilfe Koblenz e. V. erzählen, die offenbar im Süden Deutschland völlig unbekannt war. Letztendlich waren es zwei anstrengende Tage: Sie begannen um 5.30 Uhr und endeten weit nach Mitternacht. Zu guter Letzt konnte ich, nachdem ich einige Preise für das Kinderheim gestiftet und einen nicht gerade kleinen Geldbetrag gespendet hatte, der Soldatentumorhilfe Koblenz e. V. einen recht ansehnlichen Betrag überweisen.
Doch wo das Gute ist zu Haus, lauert das Unheil nicht weit entfernt Es manifestierte sich in Form eines zivilen Beamten im höheren Rang – ein Beamter, angestellt auf dem Fliegerhorst in Fürstenfeldbruck. Er sah, dass ein Weihnachtsmann in den 10 Tonner stieg und oben hinausschaute. Er ‚verfolgte‘ den Wagen und sah, dass Bundeswehr-Power (Material und Soldaten) eingesetzt wurden für eine weihnachtliche Veranstaltung. Am nächsten Tag ging er zum Schulkommandeur und beschwerte sich wohl in „schärfster“ Form. Es sei ein Vermögensschaden entstanden, da sich Soldaten mit Material der Bundeswehr für einen nicht eingetragenen Verein engagiert hätten. Es war ihm egal, um was es sich da handelte. Nach geltendem Recht hatte der Beamte recht. Der Schulkommandeur war und ist der „Haus- und Schirmherr“ der Veranstaltung und Chef der Offiziersschule. Ich habe die Generalität auf einem Rundgang über dem Weihnachtsmarkt kennenlernen dürfen. Auch sie haben vom Erkenntnistrank des Dr. Mabuse getrunken. Offensichtlich zu wenig, denn es sollte nie wieder einen Weihnachtsmarkt der 9. Inspektion der Offiziersschule Fürstenfeldbruck geben.
Hoffentlich schämen sich die Verantwortlichen, wenn sie sich an die unfreundlichen Reaktionen
(auf ein bes. für die Kinder so fabelhaftes und tolles Erlebnis) erinnern.
Und wie würde Volker Pispers sagen: NSA – Nikolaus sieht alles!!!