Zu meiner Zeit war das Tischchen- und das Gläserrücken eine Art Zeitvertreib. Wann immer wir konnten, riefen wir die Geister. Das ich von den ihnen oft belogen und betrogen wurde, war mich nicht klar. Ich geriet in eine Art „Abhängigkeit“. Jeden Tag sehnte ich mich nach dem Kontakt und freute mich schon darauf das Glas oder den Tisch zu greifen und meine Zunge den Namenlosen rief.
Konnte ich den Kontakt am nächsten Tag nicht herstellen, ging es mir nicht gut. Ich war schlecht gelaunt, tat Unrecht und irgendwann merkte ich, dass die Sehnsucht mir fast körperlich weh tat. Ich fühlte mich wohl, während der Séance. Ich fühlte mich wohl und geborgen, eine Art wärmende Energie umgab mich. Mir fiel nicht auf, dass mir nach Beendigung jeder Séance kalt war und ich fror. Ich fühlte mich im Kopf wie ausgesaugt und körperlich schlapp. Ich wusste ja, dass ich Energie geben musste, um meinen geistigen Freund zu erreichen. Das dieser mich aber betrog und mich während wir uns unterhielten „aussaugte“, das kam mir nicht in den Sinn.
Ich veränderte mich: Mein Interesse galt nur der Séance, meinem starken Freund. Ich nahm ab und schlief schlecht. Manchmal träumte ich sogar davon. War meine Energie zu wenig, dann schimpfte er mit mir und sagte, dass ich es mit einer Frau treiben sollte. So füllte ich meinen Energiehaushalt auf und „verwandelte“ mich in eine Art „Vampir“? Also mein Gebiss veränderte sich nicht. Dennoch, mir fällt kein anderes Wort dafür ein. Ich war anhängig geworden. Jedes Mal wurde das Gespräch intensiver. Mein Plagegeist konnte sich nicht nur mit mir auf der Sprachebene verständigen, sondern wenn er schlecht gelaunt war, ich Fehler machte, dann platze schon mal ein Glas, flogen Bücher aus dem Regal… Heute weiß ich, dass er versuchte sich in dieser Ebene auf Dauer zu manifestieren. Er lebte ja von den Energien, die ich ihm geben musste.
Was er mir gab? Anfangs Vertrautheit, „Wärme“ Antworten auf meine vielen Fragen, er gab mir Schutz und warnte mich vor Ungemach. Ich bekam ein anderes Zeit- und Erlebensgefühl. Er zeigte mir Wege auf, die mich zu meinem Ziel brachten. Ich fühlte mich „glücklich“. Später ließ das nach und er setzte seinen Willen durch, in dem er mich nicht nur psychisch unter Druck setzte. Ich war süchtig.
Wie lange das so ging? Gefühlt vergingen Jahre, in Wirklichkeit aber waren es nur Monate. Ich erkannte, dass hier etwas nicht gut war, dass mir mein „Experiment“ aus dem Ruder lief. Doch was konnte ich tun? Meldete ich mich nicht bei ihm, hatte ich psychische Schmerzen, die, je länger ich mich still verhielt, fast körperlich würden. Meine Träume ließen ihn des Nachts herein. Hilfe, ja… wer konnte das denn? Alle waren damals happy, Es war zu einer „Jugendseuche“ geworden. Denen ich das erzählte und die ich um Hilfe und Rat bat, lachten mich aus.
Ich wurde zum Einzelgänger, ein Junkie. Nur das meine Droge mein „Geist“ war. Meine Noten in der Schule wurden grottenschlecht. Ich wurde sprachfaul. Nur wenn ich mich mit ihm verbunden war, dann flossen mir die Worte wie bei einem Wasserfall aus dem Mund.
Eines Tages saß ich in Berlin am Kuhdamm in der Fußgängerzone vor der zerstörten Kirche. Ich genoss die Sonne und wollte mich seit langem mal wieder unter die Menschen mischen. Äußerlich ging es mir gut – innerlich fühlte ich mich schlapp und ausgesaugt. Zuviel hatte ich am Vorabend abgeben müssen. Ich merkte, dass mich jemand anschaute. Ist das Euch auch schon mal passiert? Ich konnte nicht sehen, wer das war. So blieb das seltsame Gefühl beobachtet zu werden, bis ein Schatten auf mich fiel. Langsam hob ich den Kopf. Sie war um einiges älter als ich mit wundervollem Äußeren. Sie hatte eine Pagenfrisur, rötliche Haare, ein feingeschnittenes Gesicht, die Lippen waren nicht zu schmal, nicht zu groß. Aber ihre Augen – ich musste öfter hinschauen – es war eine Mischung aus Grün und Bernstein. Sie setzte sich neben mich, reichte mir ein Eis, dass sie bei Schöller für mich geholt hatte und wir plauderten. In Ihrer Nähe fühlte ich mich unwohl, manchmal fühlte ich einen Schmerz. Es gab Augenblicke, da machte mein Herz einen Sprung und eine kaum gekannte Wärme und Freude war zu spüren. Ganz unverhofft, total aus dem „Dunklen“ sagte sie mir: „Dir scheint es nicht gut zu gehen. Deine Augen sind leer, ich kann dich nicht spüren, deine Haut fühlt sich kalt an…“ Mir war, als hätte jemand die Zeit angehalten. Alles bewegte sich nur in Zeitlupe um mich herum. Ich hörte alles wie durch Watte. Ich bekam kaum Luft, da ich das Gefühl hatte, meine Brust schnürte sich auf einmal zusammen. Ich spürte eine Berührung auf meiner Hand, sie tat mir fast weh. Sie sagte zu mir, lass uns ein Stück spazieren gehen. Hand in Hand gingen wir den Ku’damm hinunter und bogen in eine Seitenstraße ein, die längst sich mehr so belebt war. In einem kleinen Arrangement aus Bäumen, Blumen und Springbrunnen setzten wir uns. Noch immer hielt sie meine Hand. Längst ging es mir wieder gut. Jetzt kam der Hammer: Ohne lange, um den „heißen Brei“ zu reden, sagte sie mir, dass sie eine weiße Hexe wäre. Als ich vor der Kirchenruine saß, war sie nur ein paar Meter von mir gesessen. Sie hat gespürt, dass ich anderes war, dass etwas in mir anders war. Ich war anfangs sehr verlegen, wusste nicht, ob ich ihr von meinem geistigen „Freund“ erzählen sollte. Da gab sie mir einen Kuss, ihre Lippen lachten, danach als sie meine Verlegenheit sah, doch ihre Augen lachten nicht. Ich holte tief Luft. Anfangs kamen meine Worte nur zögerlich. Doch bald drängten sie sich ungeduldig über meine Lippen. Wie lange ich sprach – keine Ahnung. Als ich fertig war, dachte ich mir: Nun steht sie auf, zeigt mir lachend den Vogel und weg ist sie. Fühlte ich mich erleichtert? Nein! Sie nahm mich in den Arm. Ich spürte den Duft ihrer Haut. Mein Herz klopfte ein wenig schneller. Sie fragte mich, ob sonst noch jemand zu Hause auf mich wartet, außer der Geist? Als ich es verneinte, sagte sie mir, dass ich heute Nacht bei ihr bleiben soll. Ich sagte ihr, dass mein Peiniger die Energien braucht und will, die ich von ihr bekäme und das wäre unrecht. Ich wollte aufstehen und gehen. Schnell fasste sie nach meiner Hand, zog mich wieder auf die Bank zurück. Lange schaute sie mir in die Augen. Dann sagte sie, dass ich keine Bedenken zu haben brauche. Sie passt auf mich auf. Die Sonne ging langsam unter und wir in ihre Wohnung. Überall hingen Kräuter von der Decke in der Küche, es roch gut nach Gewürzen und Weihrauch. Ich sah in Bronzeschalen Tonkabohnen (deren Bedeutung ich erst seit Kurzem weiß) liegen, gleichgerichtete Pyramiden, Pendel und Pentagrammen, duftende Blumen und mehr. Ich fühlte mich auf der einen Seite Unwohl, auf der anderen Seite kam bekannte, schon lange Zeit nicht mehr Gespürtes aus der Tiefe meines Ich`s. Sie kochte ein superleckeres Essen, wir lachten, wir tranken und als die Nacht im Zenit war, legte sie die Tonkabohnen zu einem Kreis, zündetet weiße und schwarze Kerzen an, brannte den Weihrauch an und trat in den Kreis. Sie hatte eine Musik aufgelegt nach der sie einen Bauchtanz, extra für mich tanzte. Für mich? Warum? Es war mehr… sie zog sich währenddessen aus. Ich kann es noch heute in mir nachfühlen: Sie war schlank, Ihr Brüste wippten im Takt, waren fest, ihre Figur war schlank und von natürlicher Bräune. Ich wusste nicht wirklich damit was anzufangen mit der Situation. Der Wein, Weihrauch, der Duft der Gewürze, die in der Schale verbrannten, der Rhythmus der Musik und sie – ich war berauscht und dennoch spürte ich, dass sich etwas veränderte. War es der Raum, die Atmosphäre … was passiert hier? Da streckte sie ihre Arme aus und ihre Hände fassten mich an den Händen und zogen mich in den Kreis. Mir war, als verspürte sie einen Stich in meinem Herzen, ein kurzer Schmerz. Dann war er vorüber. Ich kann mich erinnern, dass sie mich genau in diesem Moment mich sehr wachen Augen ansah, so als habe sie ihn auch gespürt. Dann küsste sie mich und ein Feuer stieg in mir hoch, würde ich verbrennen. Wir bewegten uns nicht mehr zu dem Takt der Musik. Es waren ihre Bewegungen, ihr Körper sprach eine nie gekannte Verführung. Ich geriet in einen Strudel. Immer tiefer glitt ich hinein. Meine Sinne waren angespannt, ich war erregt, jede Zelle meiner Haut nahm die Berührungen, meine Lungen füllten sich Plagegesit, Peiniger, mit wohltuenden Gerüchen und mein Hirn war „out of Order“. Wir waren nackt und wir waren in dem Kreis aus Tonkabohnen und Salz. Wir liebten uns heftig, ohne Scheu und ohne Tabus. Wie viel Zeit inzwischen vergangen war, kann ich nicht sagen. Das Atmen fiel uns schwer. Unsere Haut war feucht. Es roch gut und angenehm. Die Flamme der schwarzen und weißen Kerze hatten ihr Werk getan und waren verloschen. Leise sagte sie mir, dass ich noch bis zum nächsten Tag bleiben sollte. Ich sagte ihr, dass meine Träume schlimm sind, auch gerade deswegen, weil ich heute keine Séance durchgeführt haben. Sie gab mir einen Kuss, legte sich neben mich und sagte mir, dass sie auf meinen Traum aufpassen werde. Dann fiel ich in einen unruhigen, aber dennoch „heilenden“ Schlaf.
Es war ein sonniger Morgen. Die Fenster waren auf und das Gezwitscher der Vögel weckte mich. Sie war schon in der Küche und Caféduft kitzelte meine Nase. Sie trug ein buntes Gewand, das im Gegenlicht meinen Augen viele Gelegenheiten gab zu forschen. Wir frühstückten, lachten und scherzten. Als ich über das gestrige Erleben sprechen wollte, verschloss ihr Finger meinen Mund. Mein Blick in ihre grünen – bernsteinfarbene Augen sagte mir, dass sie es auch so meinte. Sekunden der Verwirrtheit. Schnell holte sie mich mit ihrer guten Laune ab und es tat mir verdammt noch mal gut. Es war gegen Mittag, als ich mich verabschieden musste. Sie las wohl in meinen Augen meine Frage, meine einzige Frage.
Sie lehnte sich in den Türstock. Noch einmal konnte ich sie anschauen, hatte Gelegenheit ihr Bild in meinen Kopf zu malen. Dann sagte sie. Dein Peiniger ist fort. Nie wieder wird er dich belästigen. Tischchen- oder auch Gläserrücken ist schwarze Magie. Die Schwärzeste, die ich mir vorstellen könnte. Es wird kein zweites Mal geben. Man bekommt nur einmal die Chance. Ich hörte in mich hinein. Ich spürte kein Ziehen mehr an meiner Seele, nichts in meinen Gedanken wies auf meinen Peiniger hin. Sie lachte auf, als sie in meine traurigen Augen sah und sagte, dass sie in meinen Gedanken ist und wenn ich will, kann ich diese Nacht jederzeit abrufen. Ich umarmte sie aus … ja was war es…. Dankbarkeit, Liebe, Sehnsucht … ich weiß es nicht. Sie sagte mir nur leise, dass ich sie nicht suchen und auch nie wieder herkommen soll. Dann öffnete sie die Wohnungstür und ich ging befreit fröhlich und dankbar in den Tag hinaus.
Lieber Stan,
Deine Beiträge zu diesem Thema geben uns ganz außergewöhnliche Anregungen und Informationen.
Wir Leser bleiben zurück mit der Freiheit, uns zu entscheiden.